Interview: Diversity & Inclusion Consultant Floria Susan Moghimi

„Aktivistin für Diversity bin ich im Prinzip schon mein ganzes Leben, denn ich weiß genau, wie sich gesellschaftliche Marginalisierung anfühlt“, sagt Diversity und Inclusion (D&I) Consultant Floria Susan Moghimi von sich. Die  D&I-Expertin begleitet schon seit einigen Jahren Unternehmen auf ihrem Weg zu einer diversen und inklusiven Unternehmenskultur. Ihre Erfahrungen und spannende Erkenntnisse hat sie uns im Interview mitgeteilt. Danke dafür liebe Floria!

 

Liebe Floria, in Deiner Arbeit begleitest Du Menschen und Unternehmen dabei, mit Vielfalt umzugehen und die Stärken einer diversen Belegschaft zu erkennen und wertzuschätzen. Wie gehst Du als Betroffene damit um, dass das Thema so ein zentraler Aspekt deines Lebens ist? Hast Du diesen thematischen Schwerpunkt bewusst gewählt?

 

Floria S. Moghimi: Das ist eine lange Geschichte und dahinter stecken natürlich eigene Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, die sich wie ein roter Faden durch das eigene Leben ziehen. Irgendwann war ich an einem Punkt, in dem die Arbeitswelt, in der ich mich bewegt habe, nicht mehr zu meinen Werten und Zielen gepasst hat. Die Arbeitsfelder, in denen ich mich bewegt habe, waren oft nicht die Inklusivsten. Ich war oft die einzige Person of Color (PoC) im Raum. Das hat viele Fragezeichen in mir ausgelöst. Ich beschloss die bekannten Strukturen zu verlassen und von außen dagegen anzuarbeiten, dass tagtäglich noch so viel Diskriminierung auf so vielen Ebenen passiert: individuell, strukturell, institutionell. Ich denke, dass gerade dann eigene Diskriminierungserfahrung super wertvoll sein kann, weil man sich sehr gut reinfühlen kann. So hat meine eigene Rassismuserfahrung mir dabei geholfen, Empathie für andere Diskriminierungsformen zu empfinden. Selbstverständlich hat Diversity & Inclusion Arbeit und allgemein die Arbeit an Chancengerechtigkeit einen hohen emotionalen Preis. Daher habe ich für mich Routinen entwickelt, die mir helfen diese Arbeit zu machen. Nach einem langen Workshop setze ich mich nicht direkt an die Planung für den nächsten Workshop, sondern nehme mir bewusst Pausen. Ich nehme gezielt Empowerment Angebote wahr und begebe mich in Community-Kreise, sodass ich die nötige emotionale Unterstützung bekomme und einen Schritt zurücktreten kann.

 

Das Thema Rassismus wird in öffentlichen und privaten Räumen häufig im Bereich des Rechtsextremismus verortet. Das liegt auch daran, dass oft Unwissen darüber herrscht, was alles eigentlich unter Rassismus fällt. Wie würdest Du Nichtbetroffenen erklären, was Rassismus ist und wo er beginnt?

 

Floria S. Moghimi: Was noch nicht so im Mainstream angekommen ist, ist, dass Rassismus tatsächlich ein Forschungsfeld im universitären Rahmen ist und auch wissenschaftlich definiert ist. Eine Definition, die ich sehr gerne nutze, stammt von Louise Derman-Sparks und Carol Brunson-Phillips , die in den USA den Anti-Bias Ansatz entwickelt haben. Den würde ich gerne zitieren, denn da steckt für mich eigentlich alles drin: „Wir definieren Rassismus als System von wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Beziehungen, welches dafür sorgt, dass eine „racial group“ gegenüber den anderen privilegiert ist, Macht hat und diese erhält. Individuelle Teilhabe an Rassismus geschieht dann, wenn das objektive Resultat von Verhalten diese Beziehungen verstärkt, unabhängig davon, ob eine subjektive Intention dahintersteht.“

Es ist also ganz wichtig Rassismus als System zu verstehen, mit einer historischen Kontinuität, die seit vielen Jahrhunderten aktiv ist und in unseren Kontexten dazu führt, dass weiße Menschen gegenüber People of Color privilegiert sind. Das heißt vor allem auch, dass ich diskriminieren kann, auch wenn es nicht meine Intention war. In Unternehmen zeigt sich die Diskriminierung beispielsweise, wenn kaum PoCs beschäftigt werden. Das ist dann immer ein Alarmsignal, denn unsere Gesellschaft ist vielfältig. 25 Prozent der Bevölkerung haben eine Migrationsbiografie und wenn in Unternehmen mit über 200 Beschäftigten keine einzige Person dabei ist, die eine Migrationsbiografie hat, dann passiert etwas im System, dass dazu führt, dass diese Menschen gar nicht da reinkommen. Das ist dann auch Rassismus.

 

Der Begriff "Ally" oder "Allyship" ist aktuell ein beliebtes Konzept in der Arbeitswelt. Was ist damit gemeint?

 

Floria S. Moghimi: „Ally“ bedeutet übersetzt Verbündete:r. Jede Person kann Ally sein, sofern sie nicht selbst Teil der marginalisierten Gruppe ist. Wenn sich weiße Menschen dem Problem der Unterdrückung von Menschen of Color annehmen und wenn sie verstehen, dass ihre weißen Privilegien zu dieser Unterdrückung überhaupt erst führen. Wenn man diese Privilegien erkennt, dann geht es darum sich bewusst zu machen und vor Augen zu führen, wo diese Personen behindert werden. Und im nächsten Schritt geht es dann darum bewusst dazu beizutragen, diese Barrieren abzubauen, sich einzusetzen und das Mikro gegebenenfalls auch weiterzugeben.Das ist dann „Allyship“. Es ist natürlich ein Konzept, dass nur auf der individuellen Ebene funktioniert. Wir verändern damit einzelne Situationen, aber nicht im Großen und Ganzen die Struktur. Dennoch finde ich es ein super Konzept, das uns hilft, Empathie für Unterdrückungen und Situationen, von den wir selbst nicht betroffen sind, zu empfinden.

 

Als D&I-Expertin bist Du ja vor allem in der Arbeitswelt beratend unterwegs, welche Fragen von Unternehmen in Bezug auf Diversity begegnen Dir dort oft?

 

Floria S. Moghimi: Die häufigste Frage, die ich gestellt bekomme, ist: Wir wollen gerne Diversity & Inclusion machen, wie? Ich finde es wichtig zu schauen, was auf der Makroebene schon da ist und warum Kund:innen Diverity & Inlclusion als Initiative haben wollen, was ist die Motivation, was ist der Anreiz und was ist vor allem die Vision dahinter. Ich fange dann gerne bei der Vision an, denn wir wollen ja auch ein Ziel vor Augen haben: Warum und wofür machen wir das eigentlich? Ein wichtiger Grund für die Etablierung von D&I in Unternehmen ist häufig die Gesetzeslage, denn Unternehmen sind per Gesetz (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) dazu verpflichtet vor Diskriminierung am Arbeitsplatz zu schützen. Dabei fällt mir häufig auf, dass an manchen Stellen nicht mal die Compliance, d.h. das Mindestmaß an Voraussetzungen wie geschulte Beschwerdestellen, an die ich mich als diskriminierte:r Mitarbeiter:in wenden könnte, vorhanden sind. Da kann man also bereits auf der strukturellen Ebene an sehr vielen Punkten arbeiten. Dann geht es aber auch um eine Haltung, die ich im Unternehmen vertrete, d.h. wie möchten wir eigentlich zusammenarbeiten? Welche Werte möchten wir verkörpern? Wie wollen wir miteinander umgehen? Und welche Rolle spielt da Diskriminierung? Dabei ist ganz wichtig: Es geht nicht darum, ob Diskriminierungen stattfinden, sondern wo sie passieren und wie sie sich zeigen, um dann zu schauen wie wir dagegen angehen können.

 

Diversity wird sehr oft kapitalistisch gedacht und von Unternehmen als "Token" benutzt, um wirtschaftliche Vorteile zu genießen. Gibt es nur diesen einen Weg, um Diversity zu etablieren?

 

Floria S. Moghimi: Wenn wir Unterdrückung überwinden wollen, müssen wir auch Kapitalismus überwinden. Es hilft nicht, wenn ich zum Beispiel ein Mode-Unternehmen bin und die beste Diversity & Incusion Initiative in meinem Standort im globalen Norden habe und gleichzeitig beute ich Näher:innen in Bangladesch aus und habe keine Transparenz in den Lieferketten. Da zeigt sich meiner Meinung nach die Absurdität von Kapitalismus. Ich hoffe und wünsche mir, dass da mehr passiert.

Es gibt aber im allgemeinen drei Hauptargumente für Diversity zu sein und dafür zu arbeiten. Zum einen, wie du schon richtig festgestellt hast, das wirtschaftliche Argument, dann das rechtliche Argument, weil Unternehmen ja per Gesetz dazu verpflichtet sind, für einen diskriminierungsfreien Arbeitsplatz zu sorgen. Und dann noch das ethisch-moralische Argument, dass ich mir als Unternehmen eingestehe, dass es historische Unterdrückungssysteme gibt, wie das Patriarchat und weiße Vorherrschaft und es als Verpflichtung sehe, dagegen anzugehen und Menschenrechte zu unterstützen. Ich versuche immer dazu zu motivieren, eher aus der menschlichen Perspektive zu denken und an das Verantwortungsgefühl zu appellieren. Aber letztendlich ist für Unternehmen, die in der Zukunft in einer globalisierten Welt Bestand haben wollen, Diversity unausweichlich. Die Unternehmen, die sich keine Gedanken dazu machen, werden Wettbewerbsnachteile bekommen, und zwar sehr große.

 

 Welche Probleme in Bezug auf Diversity stellst Du aktuell fest? 

 

 Floria S. Moghimi: Das Hauptproblem ist, dass Unternehmen glauben sehr einfach wegzukommen, indem sie ein bisschen Geld für Trainings, schöne Veranstaltungen und Marketingaktion ausgeben. Es wird also sehr selten strategisch und mit einer Ernsthaftigkeit betrieben. Damit meine ich wirkliche Commitments von CEOs und Führungsebenen, was über das Posten von Zitaten auf LinkedIn hinausgeht. Also ernsthaftes und authentisches Commitment sehe ich wirklich kaum. Es ist wichtig, hinter diese Ernsthaftigkeit auch Budget zu packen und sich ernste Ziele zu setzen, wo die Öffentlichkeit auch nachhaken kann, ja was ist eigentlich mit eurem Ziel passiert? In den USA ist es zum Beispiel üblich, dass Unternehmen D&I Reports herausgeben und ihre Ziele konkret veröffentlichen und sozusagen dafür sorgen, dass man sie messen kann. Also Worten müssen in dem Fall dann auch Taten folgen. Es muss Budget geben, es müssen Personen dafür eingestellt und es muss Zeit dafür freigemacht werden. Diversity kann nicht von freiwilligen Mitarbeiter:inneninitiativen umgesetzt werden. Es muss wirklich ganzheitlich und strategisch gedacht sein. 

 

Das Thema bekommt momentan ziemlich viel Sichtbarkeit in der Arbeitswelt, was mich sehr freut. Welche positiven Entwicklungen stellst Du als langjährige D&I-Expertin fest?

 

Floria S. Moghimi: Ich muss sagen, dass insbesondere im letzten Jahr mit der Ermordung von George Floyd und dem Black Lives Matter Movement ziemlich viel Bewegung in das Thema reingekommen ist, auch in Deutschland. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Immer mehr Unternehmen sind tatsächlich bereit auch in die Strukturen reinzugehen und darüber hinaus zu kommen, am Diversity-Tag eine schöne Veranstaltung zu machen. Viele Unternehmen haben erkannt, dass sie in Diversity investieren müssen und es tatsächlich auch aus einer Überzeugung heraus machen. Da bin ich sehr gespannt, was die Zukunft noch bringt und freue mich, wie ich das begleiten und helfen darf. Es gibt auf jeden Fall viele spannende Projekte.

Hier geht es zu Floria Susan Moghimis LinkedIn-Profil: Floria Susan Moghimi | LinkedIn


Interview: Nielab Juyanda-Nassery ist Mitgestalterin bei CO:X. Sie beschäftigt sich privat und beruflich mit den Themen Diversität und Inklusion und möchte Menschen und Unternehmen auf die unendlichen Potenziale einer diversen und inklusiven (Arbeits-)Welt aufmerksam machen und sie darin unterstützen Vielfalt bewusst zu leben. 


Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.