Gleiche Chance für alle!?

Nach- und Vorteile aufgrund des sozialen Status


„Du musst nur hart genug arbeiten, dann schaffst du alles“ ist ein weitverbreiteter Glaubenssatz, der jedem:r von uns geläufig ist. Doch Fleiß alleine reicht nicht immer aus, um beruflich aufzusteigen, den Traumjob zu bekommen, ökonomisch unabhängig zu sein oder seine:ihre gesetzten (Lebens-)Ziele zu verfolgen. In unserem Leben sind wir immer wieder von Ausschlüssen und Diskriminierungen betroffen, die uns daran hindern. Die einen mehr, die anderen weniger. Dabei werden Menschen aufgrund von nationaler Herkunft, politischer oder religiöser Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, physischer oder mentaler Behinderung, aber auch aufgrund der sozialen und kulturellen Zugehörigkeit diskriminiert. Letzteres fasst man unter dem Begriff Klassismus zusammen.

 

Von Klassismus sind kurzgefasst Menschen betroffen, die der Unterschicht angehören, also vornehmlich Menschen aus der Arbeiter:innenklasse, die über ein geringes ökonomisches und kulturelles Kapital verfügen, das heißt Menschen, die statistisch als "arm" bewertet werden. In Deutschland waren 2019 ca. 15 Millionen Menschen von Armut betroffen. Oftmals bestehen kaum Auswege aus einer klassistischen Diskriminierungsspirale. So besuchen Kinder aus Familien mit geringerem Einkommen und geringerer Bildung weniger häufig ein Gymnasium, studieren seltener und arbeiten daher häufiger im Niedriglohnsektor. Daraus resultieren unter anderem geringere Aufstiegsmöglichkeiten oder der fehlende Zugang zu vielen kulturellen Angeboten. Darüber hinaus berichten von Klassismus Betroffene häufig von negativen Erfahrungen in der Arbeitswelt, wie etwa Diskriminierung beim Bewerbungsprozess oder mangelnde Integration im Teamgefüge. Die Diskriminierung findet  zum größten Teil auch auf der Vorurteilsebene statt, so werden Betroffene häufig als "faule Sozialschmarotzer:innen" stigmatisiert, die auf Kosten der Steuerzahler:innen leben. Wohingegen Menschen oberer gesellschaftlicher Schichten Aspekte wie finanzielle Sicherheit, wichtige Karrierenetzwerke und Kontakte gewissermaßen „in die Wiege gelegt“ werden und auf diese Weise soziale Ungleichheiten reproduziert, sprich weitervererbt, werden.

 

In der Diskussion um Klassismus fällt ganz klar auf: Es wird viel zu wenig über Ursachen gesprochen oder darüber, wie wir eigentlich eine dauerhafte Verbesserung der Lebenssituationen erreichen können. Es fehlt der Dialog über notwendige politische Maßnahmen, vor allem über die Frage, welche Investitionen in das Bildungswesen, die Sozialstruktur oder in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nötig wären, um Nachteile auszugleichen.

 

Deshalb wollen wir diesen Monat gemeinsam hinschauen und mehr Sensibilität für diese Problemlage schaffen. Dabei wollen wir  sowohl die eigene Lebenswirklichkeit reflektieren als auch auf die Lebenssituation anderer Menschen eingehen. Dafür werden wir das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Auf der strukturellen Ebene wollen wir uns die Arbeitswelt als solche anschauen. Welche Strukturen, Entscheidungsabläufe und Routinen, die Klassismus reproduzieren, haben sich hier verfestigt? Was kann hier konkret getan werden, um Chancengleichheit für alle zu schaffen? Denn klassistische Strukturen und Ausschlussverfahren finden in verschiedenen Kontexten statt und werden von Nichtbetroffenen meist nicht wahrgenommen. Zudem fehlt es uns an konkreten Handlungsstrategien, um damit umzugehen. Hier können wir gemeinsam Maßnahmen und Strategien entdecken, die eine diverse Arbeitskultur fördern und den Umgang miteinander stärken.  Denn eins ist sicher: Wenn wir Diskriminierung und Ausgrenzung beenden wollen, brauchen wir ein breites gesellschaftliches Engagement. 

 

Daher lasst uns gemeinsam unsere eigenen Denk- und Handlungsmuster hinterfragen: Welche Gedanken kommen Dir beim Thema Klassismus zuerst in den Sinn? Hast Du Dich schon einmal bewusst mit Deiner sozialen Position  auseinandergesetzt?  Welche Bildung haben Deine Eltern? Wie viel Geld hast Du? Wohnst Du zur Miete oder hast Du ein Haus? Hat Deine Familie ein hohes Ansehen? Was verbindest Du mit Lohnarbeit? Welche Bilder hast Du im Kopf, wenn Du an Erwerbslosigkeit denken?

Wie kannst Du in der Arbeitswelt, beispielsweise als Führungskraft, Mitarbeitende:r oder Kooperationspartner:in, zu einem vorurteilsfreien Arbeitsplatz beitragen? Und wie kannst Du Deine privilegierte Position als  Nichtbetroffene:r dazu nutzen, um Betroffene zu unterstützen? 



Theoretisches

Klassismus ist ...?!

 

Der Begriff „Klassismus“ hat seinen Ursprung im englischen Begriff „classism“ und wurde erstmals in den 1970er Jahren in den USA erwähnt und gelang vor allem in die wissenschaftliche Debatte durch seine intersektionale Verschränkung nach Deutschland.

 

Aktivist:innen der Handbook of Nonviolent Action definieren Klassismus wie folgt: 

 

„Klassismus ist die systematische Unterdrückung von armen Menschen und der Lohnabhängigen durch diejenigen,

die Zugang zur Kontrolle der für alle zum Leben notwendigen Ressourcen haben. Klassismus wird ebenso aufrechterhalten durch ein Glaubenssystem, in dem Menschen aufgrund ihres ökonomischen Status‘, ihrer Kinderzahl, ihres Jobs, ihres Bildungsniveaus hierarchisiert werden. Klassismus sagt, dass Menschen aus einer höheren Schicht klüger sind und sich besser artikulieren können als Menschen aus der Arbeiterklasse oder arme Menschen [...].“  

 

Klassismus bedeutet die Einteilung und damit verbunden oftmals die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihrer ökonomischen Position, ihrer Milieuzugehörigkeit, aber auch aufgrund von Bildungs(stand), politischer Einstellung und kulturellem Wissen. Es geht also nicht nur um die Frage, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat, sondern auch welchen Status er:sie innerhalb der Gesellschaft hat und in welchen finanziellen und sozialen Verhältnissen er:sie aufgewachsen ist. Damit richtet sich Klassismus mehrheitlich gegen einkommensarme, erwerbslose und wohnungslose Menschen und hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebenserwartung von Betroffenen. Das zeigt sich insbesondere darin, dass klassistische Strukturen den Zugang zu Wohnraum, Bildungsabschlüssen, Gesundheitsversorgung, Macht, Netzwerken, Teilhabe, Anerkennung und Geld enorm begrenzen.

 

Häufig wird in Diskussionen zu Klassismus der weiße Arbeiter in den Vordergrund gerückt. Tatsächlich sind jedoch auch viele Trans*-Personen, alleinerziehende Mütter oder Menschen, die Rassismus erfahren, von Klassismus betroffen. Die zahlreichen Diskriminierungsmerkmale überschneiden einander häufig und sind deshalb nicht voneinander trennbar und müssen daher grundsätzlich als Gesamtbild verstanden werdenDie Kategorie „soziale Herkunft” kann daher nicht ohne einen intersektionalen Ansatz analysiert und verstanden und effektiv bekämpft werden.

 


Praktisches

  • Bias Test: Der implizite Assoziationstest (IAT) ist ein Werkzeug, um eigene Einstellungen und Stereotype zu hinterfragen (für verschiedene Themen verfügbar).
  • Bilder fernab von Klischees: Gesellschaftsbilder.de ist eine Fotodatenbank für Redaktionen, Medienmacher:innen und Blogger:innen und alle Interessierte, die für ihre Arbeit Bilder fernab von Klischees suchen. Die Fotodatenbank soll ein Angebot sein, um die Vielfältigkeit der Gesellschaft abzubilden.
  • Wie Ihr  den Personalauswahlprozess (engl. Selecting) möglichst ohne Unconscious Bias gestalten können, erfährt Ihr hier: Personalfindung ohne Vorurteile - Anti-Bias

Rückblick auf unser Themenmonat

Es herrscht noch immer keine Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Insbesondere die Diversitätsdimension soziale Herkunft gewinnt noch wenig Aufmerksamkeit in öffentlichen Debatten. Dabei sind die Auswirkungen von sozialer Herkunft auf das Berufsleben nachweislich bewiesen. Wir halten folgende Erkenntnisse fest:

  •    Menschen aus Schichten mit niedrigem formalem Bildungsniveau erlangen schwieriger eine höhere Ausbildung
  •   Stark betroffen sind vor allem Menschen, die von Mehrfachdiskriminierungen betroffen sind
  •  Das Studium ist für Aufsteiger:innen der ersten Generation besonders schwierig, weil ihnen Netzwerke und Ressourcen (soziales Kapital) fehlen
  •     Nach der Ausbildung/Studium kriegen Betroffene weniger Einladungen zum Vorstellungsgespräch
  •   Besonders Langzeitarbeitslose sind von (verbalen) Diskriminierungen und öffentliche Stigmatisierungen betroffen und finden schwer eine Arbeit
  •  Menschen aus sozial „schwachen“ Schichten erfahren nachweislich Benachteiligung und Ausgrenzung im Betrieb
  •  Bildungsaufsteiger:innen erfahren nachweislich Benachteiligungen bei der (Weiter-)Entwicklung und Beförderung

Es ist also offenkundig, dass Benachteiligungen aufgrund sozialer Herkunft auf dem Arbeitsmarkt stattfinden. Daher ist es wichtig, dass das Thema ins öffentliche Bewusstsein rückt. Es ist auch im Sinne von Unternehmen, diese Diversitätsdimension zu priorisieren und den Betrieb für das Thema zu sensibilisieren, damit wertvolle Potenziale nicht ungenutzt bleiben. Auf den Bildern unter diesem Text findet Ihr deshalb ein paar Impulse und Handlungsmöglichkeiten, für eine inklusivere und chancengerechte Arbeitswelt, die soziale Aufsteiger:innen den Einstieg ins Berufsleben und den Arbeitsalltag allgemein erleichtern und uns alle für das Thema soziale Herkunft sensibilisieren. 

Reflexionsfragen

  • Habe ich den Begriff Klassismus schon mal gehört?
  • Kenne ich ähnliche Begriffe oder Teile des Begriffs (Klasse,
  • Sexismus ...)?
  • Was könnte mit dem Begriff gemeint sein?
  • Wo erkenne ich bei mir selbst klassistische Denkmuster?
  • Wie nehme ich Menschen wahr, die aus einer andere sozialen Schicht kommen als ich?
  • Warum werden bestimmte Arbeitsfelder mehr wertgeschätzt als andere?
  • Welche Maßnahmen könnten konkret helfen, um Chancengleichheit in meinem Unternehmen zu schaffen?
  • Welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden?Welche Faktoren müssen mitgedacht werden?
  • Und welche Ressourcen stehen zur Verfügung?Wenn schon Maßnahmen ergriffen wurden: Welche waren das?
  • Welche haben funktioniert, welche nicht so? Gebe ich mein Wissen darüber an andere weiter?
  • Wie reagiere ich, wenn ich Zeug:in einer klassistischen Diskriminierung werde? Gehe ich auf die betroffene Person zu und biete meine Hilfe an? Mache ich den:die "Täter:in darauf aufmerksam?

Inspirierendes


Was hat Euch inspiriert, Euch mit diesem Thema auseinanderzusetzen? Welche Bücher, Zeitschriften, Podcasts, etc. haben Euch zum Nachdenken gebracht? Was findet Ihr, sollte man gelesen haben, wenn man sich für eine Chancengleichheit unabhängig der sozialen Herkunft einsetzen möchte?

 

Wir freuen uns, wenn Ihr Eure persönlichen Tipps mit uns und der Community teilt und sie in der Kommentarspalte notiert. Wir werden sie dann auf der Seite  "diverse Link- und Buchtipps" ergänzen. So entsteht am Ende dieses Jahres hoffentlich eine bunte und umfangreiche Informationsquelle, in der es eine Menge zu entdecken gibt.

 

P.S.: Auf der Seite mit den Link- und Buchtipps findet Ihr auch Inspirationen für die anderen Themen unseres DiversitYears und einen Vielfalts-Kalender mit wichtigen Terminen zum Thema Diversity!