Treibende Kräfte der Vielfalt in Schweden und Deutschland

Ein Interview mit Tove Dahlgren, Geschäftsführerin der AllBright Stiftung in Schweden

Als allererstes „Gratulation!“. Du wurdest gerade zur neuen Geschäftsführerin von AllBright in Vertretung für Amanda Lundeteg ernannt. Wie fühlt sich das an?

 

Es fühlt sich wunderbar und sehr aufregend an! Ich bin nun ungefähr seit fünf Jahren in verschiedenen, um nicht zu sagen allen Positionen in der Stiftung: vom Ehrenamt über mein Praktikum bis hin zur Projektleiterin. Als Projektleiterin habe ich mich mit den jährlichen AllBright-Berichten beschäftigt und unsere Konferenz, den „AllBright Day“ durchgeführt. Und dann haben wir das Projekt begonnen Unternehmen fortzubilden wie sie gendergerechter werden können, wofür ich als letztes die leitende Position innehatte. Deswegen fühlt sich das nun wie der nächste selbstverständliche Schritt an, würde ich sagen (lacht).

 

In vielerlei Hinsicht, aber insbesondere hinsichtlich des Arbeitslebens, zählt Schweden als das Leitbild in der Welt und insbesondere auch für Deutschland. Würdest du sagen, dass es auch ganz bestimmte Inspirationen gibt, die ihr von Deutschland für eure Arbeit bekommt?

 

Ja, wir versuchen einander zuzuhören, um zu sehen, was andere Länder gut oder nicht ganz so gut machen. Und natürlich sich auch Inspirationen voneinander einzu-holen. Also, Deutschland ist ja schon ein paar Jahre zu-rück, wenn man sich den Anteil von Frauen in Führ-ungspositionen anschaut. Allerdings habe ich dennoch das Gefühl, dass in Deutschland gerade viel passiert. Es scheint, dass diese Frage immer mehr an die Oberfläche dringt. Sehr viele Menschen beschäftigen sich mittler-weile damit. Und natürlich auch deswegen, weil ihr eine entsprechende Gesetzgebung, die Quotenregelung, dazu habt. In Schweden sind wir beispielsweise gegen eine Quotenregelung, aber es ist dennoch sehr interessant zu sehen, was in Deutschland daraus wird. Und auch zu sehen, ob das etwas wäre, was auch hier in Schweden funktionieren könnte.

 

Wenn wir mal kurz bei der Quotenregelung bleiben: worin siehst du Vorteile, aber auch Nachteile eine zu haben?

 

Normalerweise beschäftigen wir uns nicht mit der Quotenregelung, hauptsächlich deshalb, weil wir uns nicht so sehr auf die Aufsichtsräte konzentrieren und in erster Linie die Unternehmensführungen in den Blick nehmen. Wir wollen ebenso, dass die Unternehmens-lenker für diese Themen selbst Verantwortung über-nehmen. Und dass sie sicherstellen, dass sie nicht nur Talente anziehen, sondern dass diese bleiben und dass dabei auch Frauen bis nach ganz oben befördert wer-den. Damit das passiert, müssen sich Unternehmens-führungen dieser Themen bewusst werden und an ihrer Unternehmenskultur arbeiten.

 

Du sagtest, dass ihr versucht im internationalen Aus-tausch zu bleiben. Wie gestaltet sich die Arbeit mit eurer Schwesterorganisation AllBright in Deutschland?

 

Wir haben jeden Monat Meetings, bei denen wir haupt-sächlich zusammen brainstormen, uns gegenseitig er-zählen, woran wir gerade arbeiten und Ideen austausch-en. Das kann alles sein; von einer erfolgreichen Social Media Kampagne, von der wir der Meinung sind, dass sie auch in Deutschland funktionieren könnte. Oder sie be-richten uns von ihren Konferenzen und geben uns Rat-schläge welche Fragen man  stellen könnte. Wir teilen uns einiges an Material, z.B. für Vorträge, die wir veran-stalten. Und wir versuchen uns gegenseitig beim Daten sammeln auszuhelfen und verweisen auf die Arbeit des jeweils anderen.  Es ist natürlich absolut hilfreich, dass wir die Möglichkeit haben uns mit Deutschland zu ver-gleichen. Ich glaube, dass viele schwedische Unter-nehmer zu deutschen Wirtschaftsbossen oder auch generell auf die deutsche Wirtschaft aufschauen. Und ich denke, dass es deswegen für sie sehr interessant ist die Entwicklung in Deutschland mitzuverfolgen, und um-gekehrt natürlich auch.

 

Du hast eben bereits die Vorträge erwähnt, die ihr veranstaltet. Auf eurer Webseite habe ich gesehen, dass ihr da drei verschiedene anbietet…

 

Ja, verschiedene Arten von aufklärender Hilfe, würde ich sagen. Wir haben einen Impulsvortrag, bei dem wir grundlegend erstmal zu den Unternehmen bzw. Organi-sationen gehen und einen einstündigen Vortrag halten mit Zeit für Nachfragen. Und dann haben wir da noch unsere längeren Kooperationen mit Unternehmen, bei denen wir neben Vorträgen und Workshops, um das Be-wusstsein zu schärfen, auch die Blickwinkel unter den Mitarbeitenden aufnehmen, wenn wir über Gleichstel-lung sprechen. Dabei wollen wir herauszufinden, welche Herausforderungen das jeweilige Unternehmen hat. Im weiteren Verlauf unterstützen wir sie, indem wir ihnen eine Analyse ihrer  Herausforderungen zur Verfügung stellen und ihnen Beispiele an die Hand geben woran sie arbeiten sollten, um besser zu werden.

 

Gibt es eine bestimmte Gruppe, die speziell an diesen Vorträgen interessiert ist bzw. teilnimmt?

 

Wenn wir zu den Unternehmen gehen, dann arbeiten wir überwiegend mit den Managementteams, weil wir glau-ben, dass dieses Thema in der Führungsspitze verwurzelt werden muss. Dies ist eine Vorhaben, das durch die Top Manager getrieben werden muss. Sie haben wirklich die Macht Dinge zu ändern. Es ist ebenso ein bedeut-sames Signal in die Organisation, dass Gleichstellung einen hohen Stellenwert erhält und dass die gesamte Organisation bereit ist sich damit aktiv auseinanderzu-setzen. Deshalb arbeiten wir anfangs immer zuerst mit der Unternehmensleitung. Danach veranstalten wir Vor-träge und Workshops mit den Mitarbeitenden, um si-cherzustellen, dass alle ein gemeinschaftliches Grund-verständnis über Gleichberechtigung haben. Was wir da-bei machen, ist aufzuerklären WARUM es sich lohnt sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Ein Aspekt ist dabei ganz klar Gerechtigkeit,  d.h. dass jeder dasselbe Recht haben sollte sein ganzes Potential unabhängig von Ge-schlecht und Hintergrund ausschöpfen zu können. Hinzu kommt auch noch die Tatsache, dass gendergerechte Unternehmen erfolgreichere Unternehmen sind. Daher ist es auch ein unternehmensstrategisches Thema.

 

Ich vermute, das WARUM ist immer der wichtigste Punkt.

 

Genau! Man muss Menschen zuallererst motivieren. Und dann, wenn sie motiviert sind sich damit auseinanderzu-setzen, kann man damit anfangen über verschiedene Strukturen und Hindernisse zu sprechen, die Frauen im Weg stehen, um Karriere zu machen. Und dazu gehört auch über unbewusste geschlechtsspezifische Vorurteile zu sprechen, damit jeder sich seiner eigenen Voreinge-nommenheit bewusst wird.

 

Ihr ordnet  das Vorhandensein von weiblichen Führungs-kräften in den Unternehmen bei euren jährlichen AllBright-Berichten mithilfe eines Ampelsystems. Sind denn auch die Unternehmen der roten Liste an diesen Veranstaltungen interessiert?

 

Tatsächlich habe ich mit zwei Unternehmen der roten Liste in diesem Jahr gearbeitet. Ich würde sagen, dass zu einem bestimmten Grad die „roten“ Unternehmen eben-falls interessiert sind. Aber ansonsten arbeiten wir haupt-sächlich mit Unternehmen der grünen und gelben Liste, was ich sehr interessant finde. Es sind oftmals die Unter-nehmen, die bereits hinsichtlich Gender Equality ganz gut dastehen, die die Meinung vertreten bzw. die wahrhaftig verstanden haben, warum dieses Thema so wichtig ist. Und die bereit sind sogar noch viel mehr zu machen. Ich bin trotzdem sehr glücklich zu sehen, dass auch einige rote Unternehmen zeigen, dass sie diese Themen ernst nehmen und sich künftig verbessern möchten.

 

 

 

Ich möchte noch einmal zu den Berichten zurückkom-men. Dr. Wiebke Ankersen, die Geschäftsführerin von AllBright in Deutschland, erzählte bei einer Veranstal-tung in Deutschland davon, dass die Reaktionen nach der Veröffentlichung des AllBright Berichts in Deutschland sehr emotional, in einigen Fällen sehr aufgebracht, aus-gefallen sind. Wie sind die Reaktionen in Schweden auf die Berichte?

 

Nun ja, „emotional“ ist wahrscheinlich eine sehr gute Beschreibung (lacht). Ich denke, dass die Resonanz Jahr für Jahr wächst. Als wir ganz zu Beginn die Berichte ver-öffentlichten, haben sich nur wenige Unternehmen über-haupt dafür interessiert. Mittlerweile bekommen wir viele Rückmeldungen von den Unternehmen. An erster Stelle natürlich von denen der grünen Liste, die stolz darauf sind, auf der grünen Liste zu stehen, sich damit hervortun und dies bspw. auch in ihrer Unternehmens-kommunikation nutzen. Und wir haben auch jedes Jahr einige Geschäftsführer der roten Liste, die uns ziemlich wütend anrufen und zu erklären versuchen, warum ihr Unternehmen nicht auf der roten Liste stehen sollte. Dass sie z.B. eigentlich hart daran arbeiten, Gender Equality beim Einstieg in das Unternehmen zu verbessern. Ich bin der Meinung, dass jede Reaktion eine positive Reaktion ist, weil es uns die Chance gibt auch mit Geschäftsführern der roten Liste ins Gespräch zu kommen. Außerdem bekommen wir die Chance zu erklären warum wir dies tun und auch, dass wir wissen, dass schon viele Unter-nehmen fantastische Arbeit leisten, wenn wir davon sprechen Frauen bei der Besetzung von offenen Stellen stärker einzubeziehen. Aber wir wollen die Tatsache hervorheben, dass es nur wenige dieser Frauen auch bis ganz an die Spitze des Unternehmens schaffen. Ich würde sagen, dass sich die Gemüter dieser Geschäftsfüh-rer oftmals dann wieder abkühlen, wenn wir die Chance haben uns mit ihnen zusammenzusetzen oder zu telefo-nieren. Und einige sagen dann sogar „Oh okay, wir haben verstanden und werden unser Bestes tun, um in eurer Liste nach oben zu klettern“.

 

Also es passiert schon ab und zu, dass ihr über Telefon angeschrien werdet?

 

Ja, das passiert immer. Ob nun per Telefon oder auch per Mail. Entweder ein wütender Verantwortlicher der Unternehmenskommunikation oder eben Geschäfts-führer, die sehr emotional reagieren.

 

Hast du eine bestimmte Strategie mit diesen sehr negativ ausfallenden Reaktionen umzugehen?

 

Wie gesagt versuchen wir vorwiegend zu erklären warum wir dies tun und das wir nur das Beste für sie wollen. Wir wollen das Beste für alle Unternehmen in Schweden! Und wir wollen auch das Beste für Frauen, die versuchen im Beruf erfolgreich zu sein. Deshalb denke ich ist es meis-tens gut ihnen zu erklären, warum wir finden, dass sie Gender Equality umsetzen sollten, dass sie ansonsten Möglichkeiten verpassen noch erfolgreicher zu sein. Es also im Grund einmal zu drehen und zu sagen „Wir machen das für euch. Wir möchten, dass ihr erfolgreich seid. Wir möchten, dass ihr besser werdet!“ Und das ist eine Möglichkeit dies zu erreichen.

 

Diskutiert ihr auch die Resultate der deutschen Berichte?

 

Ja, selbstverständlich, das machen wir immer. Ich denke, dass wir wahrscheinlich auch immer besser darin werden die deutschen Ergebnisse in Schweden bekanntzu-machen. Obwohl eine Herausforderung dabei ist, dass wir nicht damit aufzeigen wollen, dass Deutschland immer noch um einiges schlechter als Schweden ist. Wir möchten nämlich nicht, dass schwedische Unterneh-men denken könnten „Ach, wir sind besser als Deutschland, dann können wir ja einen Gang zurück schalten“. Wir möchten sie wirklich auf Trab halten. Wir haben uns z.B. mal die Zahlen von weiblichen Ge-schäftsführerinnen in anderen Unternehmen in Europa angeschaut und da ist Schweden überhaupt nicht so gut wie man denken könnte, wenn es um die Position der Ge-schäftsführung geht. Ich meine, wir haben sechs Prozent Geschäftsführerinnen und in Serbien sind es jedoch 17 Prozent. Also fallen wir tatsächlich um einiges zurück, wenn es um die einflussreichsten Positionen im Unter-nehmen geht.

 

Aha, ich vermute, dass liegt wahrscheinlich an dem sonst sehr guten globalen Ruf, den Schweden hat und den alle immer als erstes wahrnehmen.

 

Genau. Wir haben ein sehr stark verwurzeltes Selbstbild sehr gendergerecht zu sein (lacht).

 

Mir ist noch eine Sache in eurem Bericht aufgefallen und zwar, dass ihr explizit zum Boykott von Unternehmen aufruft, die Frauen ablehnen. Wie fällt denn dazu die Resonanz aus?

 

Also eine Sache, die wir vor einigen Jahren gemacht haben, war die rote Liste der Unternehmen auf Flyer mit den Worten „Hi Studierende, das hier sind die Unter-nehmen, bei denen ihr nicht arbeiten wollt“ zu drucken. Und dann haben wir diese Flyer an den zehn größten Universitäten Schwedens verteilt. Das war auch eine Art zum Boykott aufzurufen. Die Resonanz war tatsächlich sehr interessant. Viele Studierende kamen zusammen, wollten darüber reden und haben unsere Art so frei da-rüber zu sprechen sehr wertgeschätzt. Aber natürlich haben wir auch wieder eine Vielzahl an Anrufen be-kommen. Wir wissen, dass viele Unternehmen so einiges an Aufwand und Ressourcen investieren sich gegenüber den Studierenden zu positionieren, deshalb kann ich das schon nachvollziehen, dass sie so etwas wütend macht. Aber Wut ist gleichzeitig auch eine großartige treiben-de Kraft. Was auch immer sie dazu bringt anzufangen über diese Dinge nachzudenken und vielleicht auch sich bewusst zu werden, dass sie ein Problem haben. Ich mache mir nichts aus der Wut, so lange diese sie antreibt.

 

Eine letzte Frage habe ich noch: Was können Frauen tun, um Innovation und Vielfalt in Unternehmen, auch im Rahmen von Organisationsentwicklung, voranzutreiben?

 

Wir reden oftmals nicht darüber, was Frauen tun können, da unserer Meinung nach diese Debatte lange Zeit da-rauf konzentriert war, dass sich Frauen in verschiedener Weise ändern müssen, um mehr wie Männer zu werden. Das Problem liegt nicht bei den Frauen. Das Problem liegt bei Unternehmensleitungen, die kontinuierlich „nein“ zu Frauen sagen, basierend auf ihrer Vorein-genommenheit und ihrer Vorurteile. Deshalb denke ich, dass sich Unternehmensführungen ihrer Strukturen bewusst sein müssen, die sie innerhalb ihrer Unterneh-men haben und dass sie besser dabei werden müssen Frauen miteinzubeziehen. Einen Tipp, den wir dennoch Frauen geben, ist es manchmal zu wagen „ja“ zu sagen, auch wenn man sich vielleicht etwas unsicher fühlt. Die Forschung zeigt uns nämlich, dass Frauen dazu tendieren ihre eigene Kompetenz in einer Art und Weise zu unter-schätzen wie Männer es nicht tun. Daher würde ich Frau-en den Rat geben öfter „ja“ zu sagen. Aber ich möchte auch Männern raten manchmal „nein“ zu sagen, weil sie nicht überall dabei sein müssen. Insbesondere dann, wenn sie sehen, dass jeder andere in einer bestimmten Gruppe oder im Vorstand oder in der Belegschaft, egal was es ist, ihnen bereits sehr ähnlich ist. Dann können sie schon eine große Veränderung herbeiführen, wenn sie einfach nur sagen „Nein, danke, das ist bereits eine sehr homogene Gruppe. Ich denke, Sie sollten jemand anderes berufen.“

 

Okay, das ist dann sozusagen ein Ratschlag an all die Anders in Schweden und Thomas in Deutschland.

 

Genau (lacht)! Wenn nur ein Thomas oder Anders „nein“ sagt, dann würde das schon eine enorme Auswirkung haben.

 

Liebe Tove, vielen Dank für dieses informative Interview!

 



Das Interview mit Tove Dahlgren, Geschäftsführerin der AllBright Stiftung in Schweden, führte Anna-Marie Kühne, Mitgestalterin bei CO:X und New Work Women. Wer mehr über die 2011 von dem schwedischen Unternehmer Sven Hagströmer gegründete AllBright Stiftung und ihre Arbeit in Schweden erfahren möchte, wird hier fündig.

Seit 2016 gibt es die AllBright Stiftung auch in Deutschland unter der Leitung von Dr. Wiebke Ankersen und Christian Berg. Schaut doch mal auf der Webseite vorbei. Dort findet ihr u.a. Berichte über die mangelnde Vielfalt in deutschen Führungsetagen bzw. den "Thomas-Kreislauf".